# # Gastbeitrag von Bärbel Schwietzke-Klein # #

Führungskräfte fühlen sich oft in einer „Sandwich-Position“. Und Ihr Verantwortungsgefühl macht sie anfällig für das Phänomen der „interessierten Selbstgefährdung“. Deshalb ist es besonders wichtig, dass sich Führungskräfte mit dem Thema Gesundheit im beruflichen Alltag intensiv auseinandersetzt. Für sich selbst und ihre Mitarbeiter.

Seit ein paar Jahren führen mein Partner Stephan Klein und ich gemeinsam Seminare zum Thema „Gesunder Umgang mit Stress“ in Unternehmen durch. Dabei geht es in erster Linie darum zu lernen, mit den Gegebenheiten, die man oft nun mal nicht ändern kann, auf eine gesunde(re) und entspannte(re) Weise umzugehen. Denn eines ist klar: Wir können noch so erfolgreich versuchen, unser Umfeld, unsere Arbeits- und Lebensbedingungen zu ändern, aber irgendwann ist Schluss, da hilft kein Organisieren, Delegieren oder Kündigen mehr. Da müssen wir an uns selbst, an unseren eigenen Einstellungen und „Mustern“ arbeiten.
Das Feedback am Ende des Seminars ist durch die Bank weg positiv, auch wenn sich viele im Vorfeld vielleicht einfachere Tipps gewünscht hätten, à la „Simsalabim – weg ist der Stress“…
Und ein Kommentar kommt immer wieder – so sicher wie das Amen in der Kirche: „Dieses Seminar müssten die Chefs besuchen!“
Insbesondere dieser hartnäckig wiederkehrende Kommentar hat mich veranlasst, mich einmal dieser Zielgruppe zu widmen: den „Chefs“. Den Managern, Führungskräften, Teamleitern, die irgendwann verstanden haben, dass etwas getan werden muss. Die mit Leib und Seele Führungskraft sind und es gut mit ihren Mitarbeitern meinen.

Stress ... und Führungskraft

Ich selbst wollte nie „Chefin“ sein. Nicht, dass ich es mir nicht zugetraut hätte. Aber mir war schon früh klar, dass zum „Chef sein“ noch andere Dinge gehören, als Menschen führen, fördern, fordern und motivieren, ihr Bestes zu geben. Und so habe ich mich – in meinem „alten“ Bankberuf – entschieden, eine Spezialistenlaufbahn einzuschlagen und meine Führungsqualitäten allenfalls im Rahmen von Projekten auszuleben.

Mir ist dennoch – auch ohne eigene Führungserfahrung – bewusst, wie vielfältig und auch vielschichtig die Herausforderungen sind, denen sich Führungskräfte in großen und kleinen Unternehmen tagtäglich gegenübersehen.

 

In alle Richtungen gezerrt und gezogen

Da sind zum einen die verschiedenen Kräfte, die in unterschiedlichen Richtungen an ihnen zerren. Mitarbeiter haben ihre – berechtigten – Ansprüche. Sie wollen geführt, gelenkt, motiviert werden. Sie brauchen ein offenes Ohr, wollen gelobt und gefordert werden, müssen auch mal „Müll abladen“ und brauchen einen fachlich versierten Sparringspartner. Aber natürlich alles wohl dosiert – denn andererseits wollen sie auch ihre Ruhe haben, wollen nicht gegängelt werden. Erwarten, dass der Chef/die Chefin ihnen vertraut. Es erfordert viel Fingerspitzengefühl, all diesen Erwartungen gerecht zu werden und genau zu wissen, wann welche Haltung bei welchem Mitarbeiter gerade angesagt ist. Denn es ist ganz sicher nicht möglich, alle Mitarbeiter über einen Kamm zu scheren.

Als Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen hat man – wenn man nicht selbst der Unternehmensinhaber ist – selbst auch Vorgesetzte. Diese wiederum haben auch ihre Erwartungen, wollen informiert werden, wollen ihre Ziele umgesetzt sehen, haben ihre eigenen Vorstellungen davon, was wie und wann und vor allem wie schnell erledigt werden muss. Führungskräfte im mittleren Management fühlen sich daher oft in einer „Sandwich-Position“. Sie fühlen sich hin- und hergerissen zwischen den Anforderungen, die von „oben“ an ihnen ziehen und dem, was sie von „unten“ an Gegenkraft zu spüren bekommen.

Und dann gibt es ja auch noch die lieben Kunden. Führungskräfte werden nun mal in aller Regel am unternehmerischen Erfolg gemessen, den ihre Einheit zum Gesamterfolg beiträgt. Und der Kunde ist dafür nicht unwesentlich, und zudem (deswegen?) ist er bekanntermaßen König. Er darf also alles von seinem Dienstleister erwarten. Alles? Naja. Jedenfalls vieles. Verfügbarkeit FAST rund um die Uhr. Schnelle Lösungen. Offene Ohren. Er darf sogar mal ganz unverblümt seinen Unmut loswerden, wenn mal etwas schiefgelaufen ist. Das alles kommt direkt oder indirekt (über die Mitarbeiter, die Rechtsabteilung, den Vorstand…) bei der Führungskraft an und muss irgendwie gelöst werden.

Über all dem schwebt das „Große Ganze“. Die Unternehmensstrategie. Die Megatrends des Business. Die hohen Ziele, die erreicht werden müssen. Vor kurzem war es noch die „Generation Y“, die jetzt in die Führungsetagen aufsteigt und den Arbeitsalltag grundlegend neu prägt. Jetzt steht bereits die „Generation Z“ vor der Tür mit ganz neuen Anforderungen. Der „demographische Wandel“ ist ein Thema, mit dem sich Führungskräfte tagtäglich beschäftigen müssen, denn die „rüstigen Alten“ haben plötzlich eine neue Lebenslust entdeckt und verschwinden in die Altersteilzeit und den Vorruhestand. Und keiner bleibt, der das Wissen und die Erfahrung dieser Generation in die Zukunft rettet. Aktuell ist das Thema „Digitalisierung“ ganz groß in allen Unternehmen zu spüren. Das bedeutet nicht nur: neue Geschäftsstrategien entwickeln, neue Projekte stemmen, Veränderungsprozesse initiieren und durchleben, sondern auch: Personalabbau, Kosteneinsparungen, Umstrukturierungen, Veränderung der eigenen Rolle etc…. Und wer sagt es den Mitarbeitern und den Kunden???

 

… und wo bleibe ich?

Einen ganz wichtigen Aspekt dürfen wir nicht vernachlässigen: Die Führungskraft ist auch ein Mensch. Mit ebenso legitimen Erwartungen, Wünschen und Bedürfnissen wie alle anderen, die hier aufgezählt wurden. Das wird oft vergessen! Und so reibt sich der Mensch „Führungskraft“ auf, im wahrsten Sinne des Wortes. Zwischen all den Aufgaben und Erwartungen, die von allen Seiten an ihm oder ihr zerren. Auch den eigenen.

Daher ist es aus mehreren Gründen wichtig, dass sich Führungskräfte mit dem Thema Gesundheit im beruflichen Alltag endlich auch selbst näher beschäftigen. Für sich selbst und ihre Mitarbeiter.

  • Sie profitieren selbst davon und lernen, besser, d.h. gesünder und gelassener mit den Anforderungen in IHREM Alltag umzugehen
  • Sie erarbeiten – gemeinsam mit anderen Führungskräften – gesunde Strategien für ihren Führungsalltag, wovon sie selbst und ihre Mitarbeiter – und letztlich das Unternehmen profitieren
  • Sie gehen mit gutem Beispiel voran und ermutigen dadurch ihre Mitarbeiter, besser für sich selbst zu sorgen
  • Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg ihres Unternehmens, indem sie Verluste aufgrund von Fehlern und Krankenzeiten reduzieren und die Motivation der Mitarbeiter stärken.

 

Die Mitarbeiter vor sich selbst retten…

Last but not least helfen sie dabei, einer sehr gefährlichen Entwicklung im heutigen Arbeitsleben entgegenzuwirken: Der „interessierten Selbstgefährdung“ oder auch „indirekten Steuerung“. Dieses Phänomen ist das Resultat einer – sehr ausgeklügelten – Unternehmenskultur, die ihre Mitarbeiter mit „Zuckerbrot und Peitsche“, d.h. Anreizen über individuelle Zielvereinbarungen und Erfolgsprämien dazu ermutigt, ihren Job so auszufüllen, als wären sie selbständige Unternehmer. Dies bringt ungeheure Freiheit und Motivation für die Mitarbeiter, birgt aber auch die Gefahr, dass sie sich letztlich selbst restlos ausbeuten. Dazu braucht es keinen externen Anpeitscher mehr, der Antrieb kommt von „innen“. Um ihre Ziele zu erreichen oder im besten Fall sogar überzuerfüllen, treiben sich die Mitarbeiter selbst bis zur völligen Erschöpfung an. Es werden keine Pausen mehr gemacht, das Mittagessen wird zum Meeting umfunktioniert, Laptop und Smartphone bringen keine Freiheit, sondern werden zur „elektronischen Fußfessel“, die man sich freiwillig anlegt. Man schleppt sich krank ins Büro oder arbeitet von zuhause weiter und gönnt sich selbst mit Fieber keine Pause. Dieser Effekt hat ebenfalls schon einen Namen in Fachkreisen: Präsentismus. Interessierte Selbstgefährdung und Präsentismus sind keine leicht zu nehmenden Randerscheinungen. Im Gegenteil, sie sind Ursache schwerwiegender Erkrankungen, wie aktuelle Studien belegen. Und: sie kosten die Unternehmen richtig Geld.

Sie als Führungskraft haben es in der Hand: stoppen Sie diesen Trend! Retten Sie Ihre Mitarbeiter vor sich selbst! Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Seien Sie ein GESUNDES Vorbild für Ihre Mitarbeiter. Sie und Ihr Team bleiben dadurch nicht nur gesund. Sie werden auch erfolgreicher sein. Es lohnt sich also doppelt.

Bärbel Schwietzke-Klein, systemische Organisationsberaterin/Coach, Yoga-und Meditationslehrerin, kombiniert moderne systemische Coaching-Methoden mit uralten fernöstlichen Übungen. Sie lebt und arbeitet in Mainz-Hechtsheim. www.lebenundyoga.de